studentische projekte
Die hier präsentierten Arbeiten entstanden im Rahmen dreier von Frank Raddatz und Vincent Burckhardt organisierter Seminare zum Verhältnis von Kunst im Anthropozän vom Sommersemester 2020 bis zum Wintersemester 2022/23 am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Studierenden setzten sich darin sowohl theoretisch wie praktisch mit künstlerischen Zugängen zum Thema Anthropozän auseinander und entwickelten eigene Projektarbeiten. Die Wahl des Mediums stand den Beteiligten dabei offen. Sehen Sie hier eine digitale Ausstellung der entstandenen Werke.
malerei / plastik / installation
Sophia Büchel & Nora Elisabeth Dorèn - Plastik konserviert das Zeitalter des Anthropozän
Material: Ton (bemalt), Seil
Alina Wessel & Mia Dünkel - Wärmewelten
Elsa Ortlieb - Das Vermissen der Natur
Projekt im öffentlichen Raum von Ole Zeitler unter Verwendung folgender Literatur:
Bruno Latour: Kampf um Gaia. Acht Vorträge über das neue Klimaregime. Übers. v. Achim Russer und Bernd Schwibs. Berlin 2017.
Bruno Latour: Wo bin ich? Übers. v. Achim Russer und Bernd Schwibs. Berlin 2021.
Nora Diepenbrock - Ohne Titel
Sophie-Marie Kaatsch - Ohne Titel
Olivia Miodek - Staub
film
Amelie Baier - No Trouble In Thy Breast
Link zum Youtube Kanal von Judith Kubeile
Kamera: Alessio Medini; Link zum Youtube Kanal
Wie geht die Natur mit „Übrig-gebliebenem“, „Abfall“, „Resten“, „Über-Flüssigem“ um? Es gibt keine Abfälle in der Natur. Die Um-welt ist eine „No-Waste“ Zone. Alles wird wiederverwertet und gelangt automatisch in einen Kreislauf, einem Materialkreislauf. Wenn wir die Natur imitieren, was würde dann passieren? Biomimikry. Die Natur im Mikromaßstab konzipieren. Wäre das die Lösung für unser Problem? Aber das bekannte Zitat „Geld regiert die Welt“ ist noch immer aktuell. Denn wenn wir das Wort Natur in unseren Mund nehmen, fühlt es sich fremd an. Natur ist nicht gleich Mensch. Natur ist alles, nur nicht das Haus, das der Mensch erbaut hat oder die Topfpflanze in unserer Wohnung, der Wanderweg in den Gebirgen oder der Schnee auf den Skipisten. Wenn wir den Begriff „Natur“ verwenden, wirkt es als hätte es nichts mit dem Menschen zu tun, denn wir sind der Mittelpunkt, die Welt, und alles andere um uns herum ist die „Um-welt“. Halten die Menschen die Regulationsmechanismen der Erde auf? Sind wir die Hand, die den Heilungsprozess der Wunden unterbrechen, den Schorf immer wieder abziehen und Narben hinterlassen? Das Klima ist das Ergebnis von aufeinander wirkenden Verbindungen zwischen allem Lebendem.
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Mitwirkenden bedanken, die mir dabei geholfen haben, das Projekt überhaupt umsetzen zu können. Vielen Dank an die TanzZwiet e.V. sowie an das Sport- und Erholungszentrum (SEZ) für die Bereitstellung und Nutzung ihrer Räumlichkeiten! Ein großes Dankeschön an meinen Kameramann Alessio Medini!
Rebeka Bor, Ioannis Hatsis - Tick Of The Clock
Sophia Rentsch — I AM THE RIVER
Als ich in Texas war… Illustration eines Gesprächs
Das Anthropozän ist ein Riesenwurst-UFO. Eine lange, fettige McDonalds-Wurst, in ungenießbares Weißbrot gehüllt, der amerikanische Alptraum. Zugegeben – Heiner Müller hat sich hier gar nicht nicht zum Anthropozän geäußert und es wäre wohl die Aufgabe einer akademisch eher halbseidenen Hausarbeit, herauszufinden, ob der Terminus in Müllers enormem Wortschatz überhaupt vorgekommen ist; ob nicht der Trend, vom sogenannten Anthropozän zu sprechen, wenn vielmehr von den Verbrechen der Superwürste, der (männlich gelesenen) Menschheit die Rede sein sollte, erst viel später aufgekommen ist, sich gebrochen
hat und der mit dem Aufkommen der heilbringenden Bußprediger:innen von Fridays for Future transzendiert wurde in das kommensurablere, nun endlich massenkompatible Narrativ der Klimakrise. Vielleicht nehmen letztgenannte, schon allein aufgrund ihrer noch vorläufigen Unterscheidbarkeit vom Negativpol der männlich gelesenen Superwürste, der Menschheit, irgendwann die messianische Rolle ein, die einst der Arbeiter:innenbewegung und ihrer kommunistischen Weltrevolution zustand. Dass diese, in ihrem realsozialistischen Experiment und bei allen ihr entgegengebrachten Sympathien zum Scheitern verurteilt war, liest man aus
einem Brief, den Müllers Freund Wolfgang Heise 1976, bereits in der diffusen Vorahnung des Absturzes an den Chefphilosophen des, dicht am Mutterschiff Stalin gebliebenen Hilfssatelliten DDR, Kurt Hager, gerichtet hatte und in dem es heißt, dass wir nicht in einer vom Weltgeist gesteuerten Geschichtsmaschine säßen. Die Analogie zum Raumschiff oder zum anthropozänen Alptraum wird klarer, lediglich, die Geschichtsmaschine (oder das UFO) schwebt, das Raumschiff aber rast, die Triebwerke der Rosaschen Beschleunigung heulten bereits auf, nach dem langen und treibstofffressenden Kampf gegen den Umsturz aller Verhältnisse, als Müller auf das allgemeine Lebensgefühl zu sprechen kam: „Schwerelosigkeit – das Raumschiff Erde. Das ist die positive Erfahrung der Hilflosigkeit. Man sitzt nicht am Steuer und kennt den Mechanismus nicht, um es im Notfall zu bedienen. Aber das Ding fliegt.
Das ist das Grundgefühl. Man ist schwerelos, hat keine Verantwortung. Alles ist gut.“ Alles ist gut. Inzwischen ist es das Gegenteil: Alles ist verloren, schreit das Wissen um das Anthropozän und man fragt sich, wie es passieren konnte, dass Christian Lindner wirklich das Finanzministerium besetzen darf. Der letzte Rest von politischer Hoffnung auf Lösung ist damit vorläufig erloschen und der Müll auf den Straßen, der nicht schwebt oder rast, türmt sich auf, bis die BSR nicht kommt. Doch wir schweifen ab. Des Dichters Lösung: Friedhöfe, schwebend über der Stadt und über dem Müll und über dem Tod. Das erinnert an Müllers Diktum, man müsse die Toten wieder ausgraben um sie nach der Zukunft zu befragen, die mit ihnen begraben wurde. Der Himmel wird zum Ort der Toten, ein ewiges Ideal, dessen dialektische Umkehrung in Materialität bisher nur durch psychedelische Substanzen erprobt
werden konnte, vielleicht im Hermann-Löns-Park in Hannover, zwischen Kirchrode und Anderten. Aber vielleicht gibt es noch eine Möglichkeit (der materiellen Lösung) im Wirklichen (des Anthropozän) und diese Möglichkeit liegt vielleicht in der Anerkennung der Widersprüche, der Ironie, der Irritation („Haben die sich wirklich getraut SO einen Film einzureichen?“). Denn die Widersprüche sind die Hoffnung – das darf man nicht vergessen, obwohl die neue Regierung so großartige Grafikdesigner beschäftigt. Der vorgehende Absatz setzt sich mit dem im Film eingesprochenen Zitat von Heiner Müller im Gespräch mit Frank M. Raddatz aus dem Jahr 1995 auseinander. Der Film ist ein Versuch dieses Zitat in Bezug auf das Anthopozän und der damit einhergehenden Konsumkritik, dazustellen. Die Absurdität der Bilder und Ausschnitte des Filmes spiegeln die Absurdität des
Konsums im Zeitalter des Athropozäns auf eine dilettantische Art und Weise wieder. Die Szenenauswahl bezieht sich zum einen auf banale Objekte des Mülls. Als Resultat des Konsums steht Müll stellvertretend für die Auswirkungen eines kapitalistischen Systems. Zum anderen deuten die Szenen, welche den mit Tomatensoße überströmten Körper darstellen, auf den leichtfertigen Umgang mit Konsum im Zeitalter des Anthropozän hin. Konsum, in jeglicher Form, ist der größte Auslöser des Klimawandels. Auch die erste Assoziation der Tomatensoße mit Blut ist ein bewusst gewähltes Mittel. Die Tomatensoße steht stellvertretend für den Konsum der kapitalistischen Welt. Mit jedem Kauf eines nicht nachhaltigen Produktes „blutet“ die Erde etwas mehr. Sie wird von Tag zu Tag auf Grund des nicht aufhörenden Konsums der Erdbewohner:innen, weiter zerstört. Mit der Paradoxie, welche durch das „Mutti“ Etikett auf der Tomatensoßen Flasche und „Mutter Erde“ entsteht, wird offensichtlich gespielt. Der wirre Schnitt und die verwackelten Bilder sollen auf den fragilen Umgang mit Konsum aufmerksam machen. Durch die alltägliche Schnelllebigkeit, welche durch Digitalisierung und dem Drang Teil der kapitalistischen Welt zu sein, ausgelöst wird, wird der Umgang und die Perspektive auf die Erde und den Konsum so wirr, wie sie durch den Schnitt der Filmsequenzen dargestellt sind. Das Rascheln zwischen den eingesprochenen Textpassagen ist das Resultat zusammengeknülltem Plastiks. Dieses Stilmittel wird bewusst genutzt, um ein
unbehagliches Gefühl auszulösen. Der schnelle, wirre Schnitt, die absurden und teilweise unangenehmen abgebildeten Motive,
sowie das Rascheln des Plastiks sollen Unbehagen auslösen, um zu provozieren. Provokation wird im Film genutzt, um Aufmerksamkeit auf den Klimawandel zu richten und eine Konsumkritik auszudrücken.
Vitor Garcia de Almeida - Anthropos after Anthropocene
Alejandra Atalah - BeingSeinSer
mit
Peter Landgrebe (Philosoph)
Frank Raddatz (Ödipus)
Kundry Reif (Wissenschaftlerin)
Johanna Salz (Gaia)
Kamera, Schnitt und Ton: Vincent Burckhardt
Text: Frank Raddatz
Musik:
Peter Landgrebe – „Gonna Get Along Without You Now“ (Original Skeeter Davis)
Kevin Mooney – „Intro“
digitale kunst
fotografie
Sarah Fischer — Berlin_Anthropozän
Franziska Dommers — Ohne Titel
Aaron Schauenburg — Becoming human
text
Marlen Rieffel
Catriona Fadke
Hannes Fröhlich —Anthropozäne Dichtungen
Dein Begehren schmeichelt mir
Doch wäre es mein Fleisch
nach dem du dich verzehren würdest
würde es in der Auslage des Supermarktes
unter starrem LED
freudlos mit dem sanften Rot des Rindes konkurrieren?
Ziz erhebt die Stimme zur Klage. Dem Zentrum des Schmerzes entspringt ein süßer Ton, ebenso gebrochen wie heilig. Der Name des Opfers raunt vom ausweglosen Himmel hinab. Die letzte schwarze Strandammer liegt im Sterben.
Alter Freund
Orange Band
wie sie dich nannten
Kleiner Herr der Einsamkeit
deine Reise ist vorbei
Allein wie du warst
verstehst du die Tränen des Himmels
besser als jeder andere
Und du, Menschenkind, täuscht dich dein trüber Blick?
Kannst du nicht unterscheiden zwischen einer roten Wüste
und einer Handvoll trockenem Staub?
Erkennst du nicht die Angst
die zwischen den fermentierten Bäumen
und euren stählernen Schrecknissen oszilliert?
Wart ihr es nicht
die sie vergifteten und ihnen ihre Heimat nahmen?
Wahrlich, hier stirbt es sich
Ja, das öde Land sehnt sich nach einer Flut
Sieh hier, der Mann mit fahler Haut
hinter dem das Pack einen Zirkel beschreibt
Ist er nicht schwer, der Hunger,
der sich durch seine Seele frisst?
Und dort, die Stadt im fiebrigen Wahn
Ganze Straßenzüge in blinder Raserei
Purpurne Wolken, grelle Hysterie
Dort schieben sie sich voran
den eigenen Stern fest in den Blick gefasst
Der eigene Stern, der matt ist und sehr erschöpft
Ihr hintergingt uns, als ihr den Geruch von feuchter Erde vergaßt
Uns, die wir zu euch und zu den Gräsern singen
Euer schwarzer Kokon wuchert schon lange
im inneren des Elfenbeinturms
Eure Landschaften voller Gräber
sind der obszöne Tumor dieser Welt
Glaubt ihr, ihr versteht den Schmerz, der den Tod begleitet?
Ehrlicher Schmerz wurzelt weder im Körper
noch in der Atmosphäre oder einem Aspekt des Geistes
Nein, ehrlicher Schmerz ist wie ein stiller Brunnen
Er ist ein trostloses Flimmern
wie ihr es in seinen unschuldigen Augen sehen könnt
in seinem erschöpften Gefieder
Alter Freund, Orange Band
Mit welchem Recht gaben sie dir diesen Namen?
Vom finsteren Ende der Brise her
vernahm niemand deinen Schrei nach Wärme
mit flammender Zunge in die Nacht graviert
Sing nun ein letztes mal
mit deiner Stimme aus Zimt und Lorbeer
Du bist es, zartes Geschöpf der Luft
dessen Blut die unersättliche Leere nährt
Alles zerbricht in der Dunkelheit
Ach, mein Bruder
dein kleines Herz wird schwer
Ist sie nicht reizend, die Abendluft?
Nun zur Dämmerung erhebt sich die Symphonie der Vergangenheit
Sieh, die Meise setzt sich nieder
Auch sie ist erschöpft, ja
Der fremde Rhythmus lastet schwer auf ihren schmalen Schultern
Kaum noch erkennt sie ihren eigenen Ruf
Ich forschte nach Worten, nach dem Ausdruck
um deinem Alpdruck gerecht zu werden
Doch was ich fand
ruhend im blauen Tau,
in den tauben Körpern winziger Wassertiere
und in den Pollen der Lilien
die das Tanzen aufgaben
um in grotesken Posen
ihren Körper im Dunst zu begraben
Was ich fand lehrte mir
dass uns nur eins bleibt:
das Schweigen
Kleiner Freund, du zitterst ja
Es tut mir Leid
Ich kann nichts für dich tun
als deine Tränen zu teilen
Kind des Windes
Deine silbrigen Tränen
Deine besinnungslose Reinheit
Ich wache über dich, armes Wesen
nun, da sich der Schleier über dir hinabsenkt
Ist dir kalt, alter Freund?
Schäme dich nicht
Auf der Schwelle zu den dunklen Wässern
wird niemand dein Schluchzen verhöhnen
Lass deinen kleinen schwachen Leib zurück, alter Freund
Nun liegt kein Schmerz mehr in deiner Stimme
Es ist Wehmut die in deinem Röcheln liegt
Verlass mich nun, mein Freund
Lass diesen bedauernswerten Ort zurück
Ich selbst, vergessen, werde weiter singen
Für deine tausend matten Brüder
Leb‘ wohl, kleiner Freund
Nun ist dein kleiner Körper
Mit Asche bedeckt
Jäger des Ostens
Helden der neuen Welt
Ich sehne mich nicht nach eurem Trost
Ihr, deren Altäre aus marmornen Schädeln
der groteske Geburtsort des Westens sind
Alles wird nun dem Tode entwachsen
Das welke Fleisch wird zum Gedächtnis dieses Landes
Das Blut wird unser Land fruchtbar machen
Bald schon werden die Knospen der Stille erblühen
Und doch ist euer Gewissen rein
Die Maschinerie aus Stahl und Dampf,
ließ sie den Tod nicht weiß erscheinen?
Doch die taube Luft der Ebenen
ist geschwängert von Verwesungsduft
Kupferne Fliegen öffnen
mit sorgfältigen Rüsseln
die Frucht ihrer Schädel
Das Blut tanzt und singt
auf ihren langen, traurigen Zungen
Der Rest ist der Tod
Ja, nur der Tod
Die Ruhe dämmert im kargen Land
Doch wer wird seine Klage ablegen
für die Vergessenen?
Ihr, die Jäger?
In dieser Landschaft,
die ihr nackt gemacht und ihrer Würde beraubt habt?
Wer entfaltet das Leichentuch?
Niemand hier singt oder weint
Ich wünsche einen tragischen Chor,
der sich über die Ebene legt
und ein Meer aus starren Augen
das Jade in den Wind ausstreut
Ich möchte die Männer mit den harten Stimmen hören
Die Männer, die Flüsse korsettieren
und Stürme beherrschen
Männer, die einen Schatten in die Nacht brennen
bewaffnet mit Nelken und ihrem Appetit auf den Tod
Hier sollen sie stehen
Vor diesen Schädelbergen
In diesem lieblichen Dunst
Hier will ich bezeugen
dass sie das Verlangen
von ihren Zungen pflücken
In Abwesenheit des Donners
Sollen ihre Stimmen
das Mondlicht
aus all den Wunden schöpfen
ton
Eine akustische Reise durch die Geschichte der Menschheit
Eine anthropozäne Soundscape
Der Mensch kann sich exponentielles Wachstum nicht vorstellen. Hier wird es akustisch erfahrbar.
Inspiriert von einem Vortrag von Lynn Margulis erklingt Skeeter Davis‘ Song in neuem, anthropozänem Licht. Die Neuvertonung entstand im Rahmen des Films „Ödipus auf Anthropos“ (siehe „film“).