erfinderische expeditionen

Mit dem Anthropozän hat sich unser Bezug zur Natur auf irreversible Weise verschoben. Lokale Aktivitäten haben inzwischen globale Auswirkungen. Der rasante Klimawandel, der unumkehrbare Schwund von Arten und Lebensräumen bedrohen alle, auch das Wohlergehen aller Menschen, ohne dass es bislang zu einem angemessenen Umgang mit den beschränkten Ressourcen gekommen ist. 

Die Stiftung AlltagForschungKunst hat die Erfinderischen Expeditionen entwickelt, um die Zusammenarbeit von  Zivilgesellschaft , Kunst und Wissenschaft  an Fragen von Artensterben und Klimakatastrophe zu ermöglichen, neue Forschungs- und praktisch gestaltende Handlungsfelder zu eröffnen und Transformation anzustoßen. Als spezifischer Citizen Science Ansatz ist es ein Impuls in das Geschehen. 

Mit dem Format der Erfinderischen Expeditionen werden Menschen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Kunst eingeladen, sich auf kleine eigenständige Expeditionen in ihr vermeintlich so bekanntes Umfeld zu begeben und es mit einer neuen, neugierigen, schweifend – konzentrierten Wahrnehmung zu erfahren. Dabei nehmen sie die Fragen, wie es mit  Klimakatastrophe, Artensterben, Biodiversität  steht und – als Schwerpunkt –  was  Bäume und Gehölze dazu erzählen „im Hinterkopf“ mit.  

Gedacht ist dieses direkte, körperlich-bewegungsorientierte Format – ganz Alexander von Humboldt  gemäß – als Vorbereitung, um im Anschluss gemeinsam die in der Bewegung und Aufmerksamkeit getriggerten Fragen- und Ideenbereitschaft in Workshops vor Ort in gemeinsamer also co- kreativer Arbeit an Strategien und Entwürfen zur Zukunft von Stadtteilen als Lebensräume zu nutzen. 

Damit macht sich die Herangehensweise die seit langer, langer Zeit vor allem in Philosophie, Soziologie und Literatur behandelte Erkenntnis zunutze, dass das Gehen als rhythmische Bewegung, Erkenntnis , Empathie, Transformation und Ideen befördern kann.

Ein Kulturlabor der Zukunft, das im Baumschulenviertel in Berlin Treptow in Zusammenarbeit mit dem Späth Arboretum beginnt mit diesen Expeditionen.

Das Coronavirus verhinderte den derart gedachten Ablauf. Stattdessen wurde im ersten Schritt eine digital formulierte Einladung ausgesprochen, die Expeditionen physisch real durchzuführen und die Erfahrungen textlich und u.U. in Skizzen festzuhalten und mitzuteilen. Ein schwieriges Unterfangen, ein zutiefst unmittelbares Vorgehen zu übersetzen. Aber es gelang und hatte einige eigene Vorteile.

60 Teilnehmende haben die Expeditionen in sehr verschiedenen Gegenden Deutschlands und in verschiedenen Ländern gemacht und darüber berichtet.

fragen

Fragen und Ungewissheiten sind der auffallendste Faden durch die Expeditionsberichte. Die Beiträge sind gespickt mit Fragen. Die Teilnehmer*innen stellen sich Fragen über das Wesen der Bäume, ihre Bedeutung für das Ökosystem und ihre Bedeutung für die Menschen. Sie fragen sich, welchen Einfluss der Mensch auf die Bäume hat und wie dieser Einfluss sichtbar wird. Im Frühjahr fragen Sie sich ob der Klimawandel bereits sichtbare Schäden verursacht, wie diese vom gewöhnlichen Zahn der Zeit unterscheidbar sind und wie ihm entgegengewirkt werden kann. Später im Sommer werden die Fragen dringlicher.

ungewissheit

Viele Teilnehmende räumen ihre Ungewissheit ein, über Bäume im Allgemeinen und über die Auswirkungen des Klimawandels und wie man seine Auswirkungen auf die Bäume erkennt.

wahrnehmung

Die Teilnehmenden beschreiben den Zustand der Bäume und bringen ihn in Zusammenhang mit gegebenen Umwelteinflüssen, sie beschreiben das Vorkommen und Fehlen von Arten, sie bemerken Spuren des menschlichen Einflusses und die Interaktion von Mensch und Baum. Einige der Teilnehmenden machen poetische Beschreibungen der Bäume, Wälder und zur Atmosphäre. Sie nehmen ihre Gefühle wahr, es gibt Kindheitserinnerungen, Ereignisse, euphorische Momente, Überraschungen, Gedanken über Witterung, Jahreszeiten oder über andere Menschen.

darstellung

Die Teilnehmenden beobachten die Bäume genau und halten sie in Zeichnungen und Fotografien fest. Einige dokumentieren akribisch Schäden, andere stellen Atmosphären und Schönheit bestimmter Situationen dar, häufig ergeben sich aus dieser Dokumentation die Fragen der Teilnehmenden. Die Darstellungen verwandeln sich vom Zweck zum Mittel. Erst durch die zeichnerische (manchmal auch fotografische) Erfassung, die gezielte Aufmerksamkeit auf bestimmte Details verlangt, ergaben sich für die Teilnehmenden unerwartete Erkenntnisse:

„Noch nie habe ich eigentlich nach oben geguckt, wenn ich hier entlang ging fiel mir ein, dass …“ Manche Zeichnungen sind in der Tradition der Botaniker genaue Dokumentationen. Gleichzeitig zieht sich die Lust an der Schönheit durch die Darstellungen und es wird bei aller Dramatik über das hinausgewiesen, was dargestellt wird.

emotionalität

Die Menschen äußern sich sehr emotional, sie beschreiben ihre Zuneigung zu den Bäumen und ihre Betroffenheit und Trauer über die Folgen des Klimawandels. Bäume sind Herzensthema!

ideen

Es werden nur wenige Ideen geäußert, während sich viele Teilnehmenden fragen, wie den Bäumen geholfen werden kann. Manche Erkenntnisse werfen Ideenfragen auf.

Für Kinder scheint es klarer zu sein: Neue Bäume erfinden und Baumhäuser hoch oben in den Bäumen bauen.

herangehensweise

Die Teilnehmenden geben Rückmeldung dazu, welche Wirkung die Aufgabe und die Herangehensweise auf sie hat. Einige bemerken eine nachhaltige Sensibilisierung für die Thematik, Nachdenklichkeit und den Wunsch tiefer in die Thematik einzusteigen. Einige wiederholen ihre Expeditionen. Es gibt Rückmeldungen wie „Ich kann jetzt nicht mehr anders, als Bäume anzugucken“ oder „mein Blick hat sich völlig geändert“.  Es wird deutlich, dass die Herangehensweise einen Rahmen bietet, in dem Mitmachende zu Mitspielern werden können.  Eine Gruppe von Studierenden der  Biologie er Humboldt Universität Berlin (Prof. Dr. Susann Wicke) machte prototypisch den gedachten Verlauf. Beginnend mit einer erfinderischen Expedition durch das Späth Arboretum folgte ein lebhafter Austausch mit vielen Fragen. Mit Erstaunen merkten sie, wie sie in der folgenden, nunmehr angeleiteten Expedition sehr viel mehr wahrnehmen konnten, Naturbezug und Freude am Beobachten zunahmen.

mehr

Mehr Informationen zum Hintergrund des Projektes und weiteren Schritten finden Sie auf der Projektwebsite:

erfinderischeexpeditionen.alltagforschungkunst.de